Sparvorschläge der Jamaika-Koalition:

„Streichkonzert ohne Sinn und Verstand“

Am Ende wird es sehr teuer werden. Für den Kreis Wesel. Davon sind die Vertreter der Wohlfahrtsverbände überzeugt. Denn wenn die Streichliste, die die so genannte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP/VWG im Kreissozialausschuss vorgelegt hat, Wirklichkeit werden sollte, dann sind etliche Beratungangebote im Kreis bedroht. Angebote, die heute präventiv wirken und morgen helfen, Geld zu sparen. In der Jugendhilfe, in der Versorgung älterer Menschen zum Beispiel. Aber es geht um mehr. Um die Arbeitsplätze langjähriger Mitarbeiter und um die Versorgung vieler hilfsbedürftiger Menschen.

Auf der Kippe steht zum Beispiel die Schwangerschaftskonfliktberatung. Eine im Gesetz verankerte Aufgabe, eine, deren Personalschlüssel genau vorgegeben ist (eine Fachkraft kommt auf 40.000 Einwohner) und eine, bei der die Bezirksregierung jede Einstellung prüft. Acht Beratungsstellen gibt es im Kreis, vier davon werden von der AWO getragen. Die Sachkosten, die im vergangenen Jahr 24.000 Euro betragen haben, finanziert der Verband ohnehin schon aus eigener Tasche. Die Personalkosten teilen sich das Land (80 Prozent) und der Kreis (20 Prozent).

Die Jamaika-Koalition möchte die Hälfte des bisherigen Kreisanteils auf die Träger abwälzen. Für die AWO würde das bedeuten, rund 44.000 Euro pro Jahr selbst aufzubringen. „Geld, das wir nicht haben“, sagt Geschäftsführer Bernd Scheid. Neben der AWO bieten unter anderem verschiedene Diakonische Werke im Kreis die Schwangerschaftskonfliktberatung an. Jürgen Orts, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Wesel, wehrt sich gegen lapidare Aussagen aus der Politik, man wolle Doppelstrukturen vermeiden. Gerade im sensiblen Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung sehe der Gesetzgeber eine Vielfalt von Anbietern vor. Betroffene sollten Wahlfreiheit haben. Und da es einen festgelegten Personalschlüssel gebe, könne von einer Überversorgung nicht die Rede sein, es herrsche „eher Unterversorgung.“

Es geht nicht nur um die Schwangerschaftskonfliktberatung. Sondern auch um die Aids-Hilfe, das Projekt „Startchancen“, die Beratungsstellen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, um die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, um den Verein Frauen helfen Frauen, um Beratung älterer Menschen - eine Liste, die sich beliebig fortsetzen lässt. Und dabei geht es nicht nur um die Beratungsstellen allein. Michael van Meerbeck, Geschäftsführer des rechtsrheinischen Caritasverbandes, prognostiziert die Zerschlagung ganzer Netzwerke, die sich zum Beispiel für alte Menschen gebildet haben. Er sieht eine volkswirtschaftliche Kostenlawine auf den Kreis zurollen. Wenn Betreuung und Beratung nicht mehr gewährleistet seien, Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden wohnen zu lassen, bleibe nur der Weg ins Heim.

Henric Peeters, Geschäftsführer des Caritasverbandes Moers-Xanten, ist wie seine Kollegen fassungslos. Das soziale Gewissen der Jamaika-Koalition tendiere gegen Null, „es handelt sich um ein willkürliches Streichkonzert ohne Sinn und Verstand.“ Andreas Fateh, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV) ergänzt: „Es ist ein Ammenmärchen, so zu tun, als ließe sich mit den 2000 Euro für ‚Frauen helfen Frauen‘ der Kreishaushalt konsolidieren.“

Will der Kreis manche Aufgaben selbst übernehmen, sucht er Träger, die billiger, sprich ohne Tarif arbeiten, und wie soll die Beratung künftig sichergestellt werden? Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Gespräche mit Erklärungen habe es bislang nicht gegeben.

Ganz abgesehen davon, sei es ein Unding, wenige Wochen vor Beginn eines Haushaltsjahres eine solche Streichliste vorzulegen. Und noch dazu in einer Zeit, in der Wohlfahrtsverbände mit der Bewältigung der Flüchtlingsströme ganz andere Aufgaben zu meistern hätte. Arnd Rutenbeck, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes im Ev. Kirchenkreis Dinslaken, bringt es so auf den Punkt: „Man müsste uns den roten Teppich ausrollen und nicht mit der Faust ins Gesicht hauen.“

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