Fahrradwerkstatt soll das Selbstbewusstsein stärken
Im vergangenen Sommer wurde die Glückauf-Hauptschule in Lohberg geschlossen. Trotzdem kommen fast jeden Morgen Jugendliche. Denn wo vor Monaten noch Dreisatz und Deutsch auf dem Stundenplan stand, wird nun montiert, geschraubt und gewienert: In einem Seitengebäude der Schule ist seit September eine Fahrradwerkstatt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) unterbracht. Sie gehört zum einmaligen Modellprojekt „Sprungbrett", einem integrierten Angebot für junge Arbeitslose im Kreis Wesel.
Enes Ugur und Robin Karge werkeln mehrmals in der Woche vormittags an alten Fährrädern. Die beiden 21-Jährigen haben keinen Schulabschluss - schlechte Voraussetzung für den Arbeitsmarkt. Um sich zu orientieren und ihre Chancen etwas zu verbessern, arbeiten sie in der Fahrradwerkstatt. Beide sind fast seit dem ersten Tag dabei, und schon nach kurzer Zeit sieht Kfz-Meister Philipp Hombücher erste Fortschritte. „Ihre Fingerfertigkeit hat sich deutlich verbessert. Ein mechanisches Feingefühl ist zu erkennen", sagt Hombücher, der die Jugendlichen anleitet. Enes und Robin lächeln schüchtern, das Lob tut ihnen sichtlich gut. Es dauert einen Augenblick, ehe Robin zufrieden feststellt: „Endlich habe ich das Gefühl, mir mal selbst helfen zu können."
Das sind kleine, aber wichtige Erfolge. Sie stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Von beidem haben die jungen Menschen viel zu wenig, wenn sie bei „Sprungbrett" landen. Die 18- bis 25-Jährigen sind durch Probleme belastet: Die meisten stammen aus sozial belasteten Familien. Sie sind verschuldet, ihnen droht die Obdachlosigkeit. Sie haben keinen Schulabschluss, aber manchmal schon in jungen Jahren eigene Kinder. Oder sie stecken in der Suchtfalle mit Beschaffungskriminalität und Prostitution. Die Arge vermittelt die jungen Männer und Frauen an die AWO, die „Sprungbrett" in einem Trägerverbund kreisweit koordiniert. In dem Verbund sind Caritas, Diakonie, Akademie Klausenhof, CJD Wesel, IMBSE, SCI und Neue Arbeit Niederrhein zusammengeschlossen.
Thomas Zühlke, AWO Teamleiter Jugendberufshilfe und „Sprungbrett"-Lotse, verteilt die Jugendlichen auf die Träger. Dort wird in einem zweimonatigen Clearingverfahren herausgefunden, was die Jugendlichen können und wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Anschließend entscheiden die Arge und der Integrationsbegleiter des jeweiligen Trägers, welche Einsatzstelle die richtige ist. „Das Besondere an diesem Projekt ist der Blick über den Tellerrand. Die Wohlfahrtsverbände arbeiten zusammen und tauschen die Jugendlichen untereinander aus", so Zühlke. In Wesel betreibt die AWO zum Beispiel einen Friseurladen und ein Bistro. Andere Träger bieten Jobs in Lagern, einem Second-Hand-Laden und in Werkstätten.
Die Jugendlichen in der Fahrradwerkstatt haben alle Hände voll zu tun: Elf Drahtesel werden wieder fit gemacht für den Straßenverkehr. Dann werden sie für kleines Geld an Bedürftige verkauft. Oder die Jugendlichen behalten sie selbst. Alle Zweiräder stammen aus Fundbüros oder wurden privat gespendet. „Egal, in welchem Zustand - Räder können wir immer gebrauchen", sagt Kfz-Meister und Fahrrad-Experte Hombücher.
Seine beiden Schützlinge Enes Ugur und Robin Karge wissen noch nicht, was sie mit ihren neuen Fähigkeiten anfangen sollen. Vielleicht drücken sie noch einmal die Schulbank. Wie der heute 22-jährige Mann, den Zühlke als ein leuchtendes Beispiel erwähnt: Dieser war ganz unten, spielsüchtig, drogenabhängig und hoch verschuldet. Mit Hilfe von „Sprungbrett" hat er seinen Hauptschulabschluss nachgeholt - mit der besten Note im Kreis Wesel. Jetzt befindet er sich im zweiten Ausbildungsjahr als Metallverarbeiter. „Das ist allerdings eine Ausnahme", dämpft Zühlke zu hohe Erwartungen.
„‚Sprungbrett' ist kein Vermittlungsprojekt. Unser Ziel ist die Integration." Viele Jugendliche hätten starke Probleme im Sozialverhalten und müssten überhaupt erst einmal langsam an Arbeit herangeführt werden. Zühlke: „Wenn sie unsere Qualifizierungsmöglichkeiten wie den Haushaltsführerschein und den Gabelstaplerführerschein annehmen, ist das schon ein großer Schritt."
Während die Fahrradwerkstatt an den Vormittagen gut ankommt, sieht das an den Nachmittagen ganz anders aus. Im Rahmen des Projekts „Stärken vor Ort" will die AWO Mädchen aus türkischstämmigen Familien dazu gewinnen, unter Anleitung von Philipp Hombücher ihre Fahrräder selbst zu reparieren. Doch obwohl in Lohberg rund 65 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund besitzen, sieht die Resonanz mau aus: Die für das Projekt zuständige Sozialpädagogin Nadine Papierok konnte an den Schulen und Treffpunkten der jungen Mädchen bisher niemanden für diese Idee begeistert. „Da gibt es leider noch kulturelle Hindernisse", bedauert Papierok.
1. KASTEN:
Wer ein altes Fahrrad im Keller stehen hat und es nicht mehr braucht, kann es der AWO-Fahrradwerkstatt spenden. „Wir sind für jedes Rad dankbar und holen es auch ab", sagt Philipp Hombücher. Spender mögen sich unter Rufnummer 02064/3995016 melden.
2. KASTEN:
Mädchen aus türkischen Einwandererfamilien, die Spaß am Schrauben haben oder einfach nur mal ausprobieren wollen, ob ihnen ein handwerklicher Beruf liegt, können sich mit Nadine Papierok in Verbindung setzen. Sie ist unter der Telefonnummer 02064/3995016 erreichbar.
BU: Enes Ugur (l.), Philipp Hombücher und Robin Karge (r.)